Strenge Voraussetzungen für die außerordentliche Verdachtskündigung eines Arbeitsvertrages

Rechtstipp vom 19.12.2007, veröffentlicht im Anwalt-Suchservice, Kategorie Arbeitsrecht.

Arbeitgeber unternehmen immer wieder den Versuch, Arbeitsverträge durch Ausspruch einer sogenannten außerordentlichen Verdachtskündigung zu beenden. Sie scheitern dabei aber häufig bereits an den hohen formellen Voraussetzungen, die die Rechtsprechung insoweit aufgestellt hat. Dieser Aufsatz grenzt die Verdachtskündigung von einer Tatkündigung ab und arbeitet acht Voraussetzungen heraus.

Arbeitgeber unternehmen immer wieder den Versuch, Arbeitsverträge durch Ausspruch einer sogenannten außerordentlichen Verdachtskündigung zu beenden, scheitern aber häufig bereits an den hohen formellen Voraussetzungen, die die Rechtsprechung insoweit aufgestellt hat. Diese sollen nachfolgend dargestellt werden.

Auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen Verfehlung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigen Arbeitnehmer darstellen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine Verdachtskündigung dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen schwerwiegenden Pflichtverletzung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die entsprechende Handlung begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist.

Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.

§ 626 Abs. 1 BGB lässt eine Verdachtskündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. BAG [Bundesarbeitsgericht] Urteil vom 13.09.1995 - 2 AZR 587/94, veröffentlicht auch in NZA 1996, Seite 81 ff. m.w.N.).

Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist formelle Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung, denn anders als bei einem aufgrund von Tatsachen bewiesenen Sachverhalt besteht bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr, dass ein „Unschuldiger“ betroffen ist. Deshalb ist es gerechtfertigt, strenge Anforderungen an die Verdachtskündigung zu stellen und von dem Arbeitgeber zu verlangen, alles zu tun, um den Sachverhalt aufzuklären. Die Kündigung verstieße anderenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sie wäre nicht ultima ratio.

Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe bzw. Verdachtsmomente zu beseitigen bzw. zu entkräften und ggf. Entlastungstatsachen geltend zu machen. Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die aus der Aufklärungspflicht resultierende, ihm obliegende Anhörungspflicht, dann kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen, d.h. die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam (BAG a.a.O.),

Klassische Fälle für derartige Verdachtskündigungen sind z.B. die Kündigung wegen Arbeitszeitbetruges bzw. falsche Reisekostenabrechnungen.

Voraussetzung für eine Verdachtskündigung ist daher insbesondere, dass dem Arbeitnehmer

  1. ein schweres, für das Arbeitsverhältnis wesentliches Fehlverhalten vorgeworfen wird,
  2. der Verdacht dringend ist,
  3. objektiv nachweisbare Tatsachen für den Verdacht bestehen und
  4. der Arbeitgeber ihm alles zumutbare getan hat, um den Verdacht aufzuklären.
  5. Weiterhin muss hier die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB eingehalten sein und
  6. ggf. der Betriebsrat bzw. Personalrat innerhalb der hier maßgeblichen kurzen Fristen beteiligt worden sein.
  7. Letztlich muss der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung angehört worden sein, um ihm die Gelegenheit zu geben die bestehenden Verdachtsmomente auszuräumen.
  8. Der Arbeitgeber hat die volle Darlegungs- und Beweislast.

Zu 1. Ein schweres für das Arbeitsverhältnis wesentliches Fehlverhalten

Die Verdachtskündigung stellt einen Unterfall der verhaltensbedingten Kündigung dar. Eine außerordentliche Verdachtskündigung setzt voraus, dass hier ein wesentliches Fehlverhalten z.B. der Verdacht einer strafbaren Handlung (Abrechnungsbetrug pp.) vorliegt.

Zu 2. Dringlichkeit des Verdachts

Die Dringlichkeit des Verdachts ist zu bejahen, wenn eine auf Indizien gestützte große Wahrscheinlichkeit für die Tat gerade dieses Arbeitnehmers besteht.

Zu 3. Objektiv nachweisbare Tatsachen für den Verdacht

Hier ist es erforderlich, dass etwa durch Urkunden, Gutachten pp. durch den Arbeitgeber nachgewiesen wird, dass der Verdacht nicht auf subjektive Wahrnehmungen des Arbeitgebers gestützt wird, sondern durch diese objektiven Tatsachen gestützt wird.

Zu 4. Notwendige Ermittlungen des Arbeitgebers, um den Verdacht aufzuklären

Je nach den Umständen des Einzelfalles sind hier erhebliche Vorleistungen des Arbeitgebers zu erbringen. Bei dem Verdacht eines Abrechnungsbetruges kann es z.B. erforderlich sein, dass hier Fahrtenbücher, Reisekostenbelege, Reisekostenabrechnungen, Reisekostenprotokolle pp. abgeglichen werden und hierzu Zeugen gehört werden.

Zu 5. Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB

Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt bei einer Verdachtskündigung, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb die Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist (vgl. BAG Urteil vom 01.02.2007- 2 AZR 333/06).

Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne eine umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann er sein Kündigungsrecht nicht verwirken. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Es genügt nicht allein die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, d.h. des „Vorfalles“, der einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen soll.

Bei einer vom Arbeitgeber erklärten außerordentlichen Kündigung gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer und gegen die Kündigung sprechen.

Außerdem gehört es zu den vom Kündigungsberechtigten zu ergründenden maßgeblichen Umstände mögliche Beweismittel für eine ermittelte Pflichtverletzung zu beschaffen und zu sichern (BAG Urteil vom 02.02.2006 - 2 AZR 57/05).

Dabei sollen die zeitlichen Grenzen des § 626 Abs. 2 BGB den Arbeitgeber weder zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben, noch ihn veranlassen, ohne eine genügende Prüfung des Sachverhalts oder vorhandener Beweismittel voreilig zu kündigen (BAG Urteil vom 17.03.2005 - 2 AZR 245/074).

Solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an. Dies gilt nur so lange, wie der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine weitere, umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhaltes und der notwendigen Beweismittel verschaffen sollen (BAG Urteil vom 06.07.1972 - 2 AZR 386/71).

Sind die Ermittlungen jedoch abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt und von den erforderlichen Beweismitteln, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ermittlungsmaßnahmen etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder im Ergebnis überflüssig waren.

Allerdings besteht für weitere Ermittlungen kein Anlass mehr, wenn der Sachverhalt bereits geklärt oder der Gekündigte ihn sogar zugestanden hat (BAG Urteil vom 05.12.2002 - 2 AZR 478/01).

Zu 6. Anhörung Betriebsrat bzw. Personalrat

Sobald also der verständige Arbeitgeber die Ermittlungen abgeschlossen hat und hinreichende Kenntnisse des Kündigungssachverhaltes vorliegen, beginnt die Ausschlussfrist und die Frist für die dann ggf. erforderliche Anhörung des Betriebsrates gem. § 102 Abs. 2 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz bzw. § 72 a Abs. 2 Landespersonalvertretungsgesetz NRW.

Nach den zu § 102 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) entwickelten Grundsätzen der subjektiven Determination gehört zu der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates bzw. des Personalrates die Weitergabe aller Informationen, die den Arbeitgeber zur Kündigung bewogen haben. Soweit der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess weitere wesentliche Informationen erlangt und auf diese die Kündigung stützen will, so kann er dies nur nach entsprechender Beteiligung des Personalrates tun.

Zu 7. Anhörung des Arbeitnehmers

Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verdachtskündigung ist außerdem, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung die Gelegenheit gegeben hat, sich zu den Verdachtsmomenten zu äußern und sich ggf. zu entlasten. Das Bundesarbeitsgericht definiert dies ausdrücklich als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verdachtskündigung (BAG Urteil vom 13.09.1995 - AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbare Handlung).

Soweit der Arbeitgeber also bei den Ermittlungen Unterlagen aufgefunden hat, die ihn zum Ausspruch der Kündigung bewegen, so hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Anhörungsverfahren diese Unterlagen zur Einlassung zur Verfügung zu stellen. Je nach Art und Umfang der Unterlagen reicht es hier keinesfalls aus, wenn Auszüge oder der Inhalt von Gutachten mündlich vorgetragen wird.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer Nichtzulassungsbeschwerde-Entscheidung bei einer Verdachtskündigung gegenüber einem Chefarzt wegen Abrechnungsbetruges ausdrücklich die Entscheidung der zweiten Instanz bestätigt. Danach war festgestellt worden, dass ein Arbeitgeber, der zum Zwecke des Nachweises der Verdachtsmomente Gutachten erstellen lässt, diese im Rahmen der Anhörung dem Arbeitnehmer zur Verfügung stellen muss, wenn diese Gutachten Beweggrund des Arbeitgebers für die Kündigung sind (vgl. BAG, Entscheidung vom 12.01.2006 - 2 AZR 954/05 / vorhergehend LAG Köln - 11 (10) SA 1507/04).

Zu 8. Darlegungs- und Beweislast

Selbstverständlich hat der Arbeitgeber, wie bei anderen „normalen“ außerordentlichen Kündigungen auch die volle Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Verdachtskündigung. Er hat sämtliche oben dargestellten Voraussetzungen darzulegen und ggf. zu beweisen.

Es erstaunt immer wieder, wie Arbeitgeber ohne fachanwaltliche bzw. arbeitsrechtlich versierte Unterstützung derartig komplexe Sachverhalte selbst zu bewältigen versuchen. Folge ist, dass nicht korrigierbare Versäumnisse auftreten, die zu einem Obsiegen des Arbeitnehmers trotz ausreichender Verdachtsmomente führen können.

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